DDR DESIGNDEPOT

2. Juni 2013 by in INTERVIEWS
Nisse Strinning Regal

Unser erstes Interview führt uns nach Waldesruh, am Rande von Berlin. Inmitten dieses grünen Idylls leben Architekt Richard Anger und seine Frau in einer alten Mühle, direkt am Erpetal-Wanderweg. Doch die Ruhe täuscht: am Wochenende lädt ein Schild, auf dem „Wir haben geöffnet“ steht, Spaziergänger und Interessierte ein, einen Blick in das DDR-Design-Depot des aus Ulm stammenden Architekten zu werfen…

 

VA: Es ist unfassbar ruhig hier. Wie verträgt man so viel Ruhe, nachdem man dreißig Jahre in Kreuzberg gelebt hat?

Richard Anger: Man gewöhnt sich daran. So ruhig ist es gar nicht, nur eben Froschquaken statt Autolärm. Nach vielen Jahren in Kreuzberg bemerkt man, dass sich dort alles wiederholt, alles kommt wieder. Es war Zeit für Veränderung.

VA: Nun lebst Du hier im ehemaligen Osten, bist aber in der Bundesrepublik aufgewachsen. Wahrscheinlich gab es vor der Wiedervereinigung keine persönlichen Berührungspunkte mit DDR-Design. Wie und wann kam es dann zu Deiner Sammelleidenschaft?

R.A.: Du meinst, ob es eine Art Aha-Erlebnis gab? Nein, das gab es nicht, so was fällt nicht vom Himmel. Ich habe vorher Europäisches Design gesammelt. Aber mich haben Eames, Colani und Panton irgendwann angefangen zu langweilen, oder Philippe Starck, das sind Standards, die irgendwann jeder haben wollte. Das Design der DDR habe ich dann nach der Wende entdeckt. Plötzlich tauchten auf Flohmärkten all diese Dinge auf. Das Gute ist, dass ich die Objekte rein architektonisch betrachte, da ich ja keinerlei persönlichen Bezug zu ihnen habe. Als Sammler merkt man irgendwann, dass man nicht alles sammeln, geschweige denn, sich mit allem auskennen kann. Man muss sich spezialisieren.

VA: Das heißt, Du suchst themenbezogen?

R.A.: Nein, das geht nicht! Man kann nicht auf den Flohmarkt gehen und was kaufen wollen. Natürlich hat man die Birne voll, aber das was man sucht, kriegt man nicht. Man bekommt immer das andere. Immer! Aber das ist auch reizvoll. Das spreizt einem den Horizont. Die Dinge müssen mich in jedem Fall ansprechen, eine gewisse Eleganz haben. Sicherlich spielt mein Beruf da auch eine Rolle. Ich sehe immer zuerst die Skulptur. Manchmal sind es auch Details, die mich faszinieren. In meiner Sammlung befindet sich beispielsweise eine Gartenliege mit Schaukelfunktion. Sie ist weder schön noch von besonderer Qualität, aber wenn man sich die Konstruktion des Stahlrohrgestells genauer ansieht, ist sie genial.

VA: Wie kommt es denn, dass manch einer bei DDR-Design eher an Trash denkt?

R.A.: Um es mit harten Worten zu sagen: mit DDR-Design ist es wie mit anderem Design auch,  50% ist Mist. Ansonsten war es in Ost und West ähnlich, die 50er und 60er Jahre waren die Blütezeit des Designgeschehens, die innovative Zeit. Sehr eigenständig und mit einem hohen Anspruch an Qualität.

VA: Gibst Du uns einen Tipp, nach was sollten wir auf dem Flohmarkt Ausschau halten?

R.A.: Nach allem, was aus den Werkstätten Hellerau kommt. Eine legendäre Holzschmiede. Das ist Goldstaub, purer Goldstaub! Und Glas von Wilhelm Wagenfeld, dessen Designs auch zu DDR-Zeiten noch eine große Rolle spielten, findet man immer wieder. Das heisst, wenn das Wagenfeld´sche Grün auftaucht, immer erstmal zahlen (lacht)! Das gilt auch für das Stahlblau. Wer das einmal verinnerlicht hat, weiß sofort was Sache ist.

 
 

VA: Sind denn die Bestände nicht inzwischen abgegrast?

R.A.: Das nimmt rauf jeden Fall rapide ab. Man hätte zwischen 1990 und 2000 sammeln müssen, da wurde alles entsorgt, weggeschmissen. Die Haushalte wollten die Sachen damals weghaben. Das war ja auch eine ganz logische Entwicklung. Alle wollten alles neu!

Die Leute aus der ehemaligen DDR trauen sich bis heute oftmals nicht, die Sachen zu entsorgen. Bevor sie etwas wegwerfen, wenden sie sich oft an mich, weil sie wissen, die Dinge, an denen viele Erinnerungen hängen, sind bei mir gut aufgehoben.

VA: Gibt es Kontakt zu anderen Sammlern oder noch lebenden Designern der DDR?

R.A.: Ja, den gibt es. Einige kommen zu jeder Ausstellung. Mir scheint das eine Art Klassentreffen zu sein. Wir verabreden uns, dann sitzen hier alle am Tisch und es wird viel geredet und viel gelacht! Die Damen haben Kuchen mitgebracht. In solchen Momenten interessiert sich keiner mehr für das DDR-Design, das hier herum steht (lacht). Auch zu Recherchezwecken trifft man sich. Für die Ausstellung „Plaste von der Burg“, die bis vor einigen Wochen im Industriesalon Schöneweide zu sehen war, habe ich vorab im Archiv der Burg (Anm. d. Red.: Burg Giebichenstein, Kunsthochschule Halle) recherchiert. Die letzten beiden dort verbliebenen DDR-Gestalter Günter Reißmann und Martin Kelm haben mir dabei zur Seite gestanden.

VA: Und wie gehen die Gestalter damit um, dass ihnen nur wenig öffentliche Aufmerksamkeit geschenkt wird?

R.A.: Da gibt es solche und solche. Christa Petroff-Bohne beispielsweise, die noch bis 2002 ehrenamtlich in Weißensee tätig war, erhält auch heute regen Zuspruch. Andere gehen etwas unter. Die meisten sind vor allem enttäuscht über die Abwicklung und haben heute nur eingeschränkten Zugang zu ihren eigenen Objekten. In Spandau im „Haus der Geschichte“ lagern in einer riesigen Halle über 80.000 Design-Objekte der DDR und werden weitestgehend unter Verschluss gehalten. Da gibt es leider ein ganz grosses Defizit in der Museumslandschaft, weil der politische Aspekt noch nicht abschließend geklärt ist. Völlig unverständlich. Aber nach zehn Jahren soll nun 2015 endlich wieder ein Teil in einer Ausstellung zu sehen sein. Es ist höchste Zeit.

VA: Die allgemeine Kritik am DDR-Regime hängt demnach mit dem eher geringem Interesse der Öffentlichkeit am Design dieser Zeit zusammen?

R.A.: Ganz ganz eindeutig! In Ausstellungen, die ich außerhalb meiner vier Wände kuratiere, werde ich zukünftig auch nicht mehr explizit darauf hinweisen, dass es sich bei den Exponaten um DDR-Design handelt. Welche Rolle spielt das schon? Auch in meiner aktuellen Ausstellung findet man hier und da mal Tapio Wirkkala, Walter Bosse oder Alvar Aalto. Wenn es zum Thema passt, mische ich das, wie es mir gefällt.

 
 

VA: Wie wichtig ist es Dir, Deine Sammlung mit der Öffentlichkeit zu teilen?

R.A.: Sehr wichtig. Es gibt nichts Schlimmeres, als Dinge zu horten. Klar, ich möchte die Dinge besitzen, aber sie anderen zugänglich zu machen, das ist der eigentliche Sinn des Sammelns. Ich freue mich über jeden, der den Weg hierher findet und Interesse zeigt.

VA: In der DDR waren nur eingeschränkte Produktionsmittel vorhanden, heutzutage ist das Schonen von Ressourcen gerade unter ökologischen, aber auch unter ökonomischen Gesichtspunkten wieder von großer Aktualität. Lassen sich aus dem damaligen Umgang mit dem Thema auch Antworten auf aktuelle Fragen ableiten?

R.A.: Im Prinzip ja, wenn es den Entwurf nicht beeinträchtigt. Aber dies war leider oftmals der Fall. Durch Materialknappheit waren z.B. Bestecke dann oftmals so dünn, dass sie sich  kaum noch anfassen ließen und dadurch keine Handhabung mehr hatten. Aber es lässt sich mit Sicherheit auch etwas lernen. Allerdings, nur so lange Qualität und Schönheit nicht leiden, und das ist eine Gradwanderung. Denn, wenn die Folge der Einsparungen Produkte sind, die man bald wegwirft, macht das keinen Sinn.

 
 

VA: Wie sieht es eigentlich in Deinen privaten Wohnräumen aus? Ostalgie pur?

R.A.: Nein, im Gegenteil, nicht einmal ein einziges Teil aus DDR-Zeiten findet man dort. Ich lade Euch gern ein, Euch davon zu überzeugen (Anm. d. Red.: Es ist tatsächlich so!). Ich bin in Ulm aufgewachsen und daher sind mir Max Bill und andere persönlich näher.

VA: Interessant, dass Du das sagst. Was sagt eigentlich Deine Frau zu Deiner Sammelleidenschaft?

R.A.: Ich bin sehr froh, das meine Frau das toleriert, aber sie verdreht natürlich schon mal die Augen, wenn ich am Sonntag um halb elf vom Flohmarkt komme und sage: „Guck mal!“.Inzwischen fahre ich nicht mehr so weit wie früher, da war ich oft bis zu sechs Stunden unterwegs. Das mach ich jetzt nicht mehr. Aber die Flohmärkte in Vogelsdorf und in Biesdorf sind hier in der Nähe und sehr empfehlenswert.

VA: In Deinem Anbau gibt es wechselnde Ausstellungen, in denen Du Objekte aus Deiner Sammlung zeigst. Wie suchst Du die Themen aus und was kann man aktuell sehen?

R.A.: Das entsteht spontan. Meine derzeitige Ausstellung beschäftigt sich mit der Schnittstelle zwischen Kunsthandwerk und Design. Das Kunsthandwerk ist ein Grenzgebiet, aber, wer sich mit Gestaltung auseinandersetzt, kommt daran nicht vorbei. Lange Zeit wollte ich gar nicht einsehen, dass es da Überschneidungen gibt, aber man kann es nicht leugnen. Es verschwimmen die Grenzen. Hans Brockhage, der den bekannten Schaukelwagen unter Mart Stam entworfen hat, hat sich auch dem Kunsthandwerk gewidmet, allerdings seriell aus Drehteilen, und da bist du genau genommen schon wieder raus aus dem Kunstgewerbe. Dann bleibt zwar die Form, die man künstlerisch einschätzen kann, aber die Herstellung ist seriell. Das ist schon clever gemacht.

VA: Es ist wirklich erstaunlich. Ich fange auch gerade an, mich für Schnitzereien aus dem Erzgebirge zu begeistern.

R.A.: Ja, es ist eben nur eine Frage der Präsentation.

VA: Und wer kommt vorbei? Sind das Besucher vom Wanderweg?

R.A.: Am Wochenende kommen hier eine Menge Leute vorbei. Dann mache ich die Tür auf und stelle mein „Wir haben geöffnet“-Schild raus. Unter der Woche vereinbare ich Besichtigungen meines Depots nach Absprache.

VA: Wenn Du den „Richard-Anger-Design-Award“ vergeben dürftest für das beste Design des letzten Jahrhunderts, wer bekäme ihn für welches Design?

R.A.: Das kann ich nicht beantworten. Ich kann nicht die Teekanne von Christa Petroff-Bohne mit dem Schaukelwagen von Hans Brockhage vergleichen. Das wäre absurd. Obwohl, die Teekanne von Frau Bohne ist schon genial (lacht).

Lieber Richard, wir danken Dir für dieses Interview!