Für den dritten Beitrag zu unserem Monatsthema UPCYCLING treffen wir Philipp Wiedemann. Er empfängt uns in Berlin-Kreuzberg in der Wohnung seines guten Freundes und Interior Designers Thies Wulf. „Ich habe Euch gebeten hierher zu kommen, weil es keinen Ort gibt, an dem ich Euch mehr meiner Möbel zeigen könnte. Bei Thies steht fast in jedem Zimmer etwas, das ich gebaut habe. Meine Werkstatt ist zur Zeit fast leer,“ erzählt Philipp mit ruhiger Stimme, als wir zur für Berliner Verhältnisse frühen Morgenstunde mit Coffee-to-Go und Kamera-Equipment den wunderschönen Altbau betreten.
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„Schon als ganz kleines Kind habe ich Werkzeuge geliebt und verbrachte Stunden an einer Werkbank, die mir mein Vater in einem Anflug von geistiger Umnachtung ins Kinderzimmer gestellt hatte“, blickt er zurück, als wir ihn nach den Anfängen fragen. Nach der Schule ist er orientierungslos: „Das Schlimme daran war, dass um mich herum viele genau wussten, was sie machen wollten“, erzählt er. Zwar weiß Philipp, dass er handwerkliches Talent hat, aber entscheidet sich für eine kaufmännische Ausbildung. In seiner Freizeit baut er Möbel aus Müll, weil er kein Geld hat, nicht aus Überzeugung. Einige Jahre später zieht er nach Hamburg. Dort arbeitet er in einer Bar bis ein Stammgast ihn zur Seite nimmt und fragt, ob er Lust habe, in seiner Tischlerei mit zu arbeiten. Philipp sagt zu. Er hilft zwei Jahre lang in der Werkstatt aus und lernt viel über den Umgang mit Holz. Der Anruf eines befreundeten Galeristen, mit der Bitte, er möge einer Künstlerin bei einem Projekt aushelfen, verändert sein Leben. „Sie hatte ein sehr komplexe Skulptur entworfen, die perfekte 3D-Animation, aber die Umsetzung war eine riesige Herausforderung“, erinnert er sich. Dank seiner Erfahrungen, die er in den Jahren zuvor sammeln konnte, klappt alles einwandfrei. „Ich hatte zunächst keine Ahnung, wen ich da vor mir hatte“, gesteht Philipp. Es ist die renommierte New Yorker Künstlerin Sarah Oppenheimer. Nach dem Projekt fragt sie ihn, ob er weiterhin für sie arbeiten möchte. Er sagt zu und sitzt plötzlich im Jet nach San Diego, um dort eine Show für sie aufzubauen. Die Künstlerin ist so begeistert von Philipp, dass er ihr Technischer Assistent wird.
„Ich hatte einfach verdammt viel Glück. Wenn Deine Möbel bei einem Prominenten stehen, dann wollen sie auf einmal alle haben. Hätte das gleiche Möbelstück auf dem Flohmarkt gestanden, wären dieselben Leute daran vorbei gelaufen“, sagt Philipp mit bescheidener Zurückhaltung. Die Liste seiner Auftraggeber ist lang: Er übernahm den Innenausbau für eine Hotelanlage von Design Hotels, Tim Mälzer ließ für sein Hamburger Restaurant Bullerei einen Kronleuchter aus Beilen von ihm bauen und die Mosaik-Tische beim angesagten Italiener Pappa E Ciccia in Berlin-Mitte sind ebenfalls sein Werk. Seine Auftraggeber geben die Rahmenbedingungen vor, aber lassen ihm meist Raum, frei zu gestalten. Inzwischen nutzt er nicht mehr ausschließlich Müll, aber immer alte Materialien. Er zeigt uns französische Eichendielen, die über hundert Jahre gelagert wurden. Holz und Metall, das sind die bevorzugten Materialien. „Man kann mit mir nicht spazieren gehen, ohne dass ich an Abfall-Containern stehen bleibe und reinschauen muss.“ Es ist jedoch selten geworden, dass er hochwertiges, brauchbares Material auf den Straßen findet, nicht nur, weil mehr Leute danach suchen: „Ein weiteres Problem ist, dass gerade im Osten viele krebserregende Holzschutzmittel verwendet wurden. Da muss man sehr vorsichtig sein.“ Seine Möbel sind vielseitig. Manch ein Stück erscheint zunächst sehr künstlerisch und skulptural. Er zerlegt ein fragil anmutendes Pult vor unseren Augen. „Das habe ich so konstruiert, damit man es gut verschicken kann“, erklärt Philipp – ein Maß an Funtionalität, das überrascht.
Philipp mag es manchmal Tage lang allein zu sein und hart und viel zu arbeiten. Immer wieder sagt man ihm, er solle sich Unterstützung holen und Aufgaben abgeben. „Ich bin nicht der Typ, der gern Anweisungen gibt. Außerdem müsste ich erst mal jemanden finden, der einen solchen Schaden hat wie ich (lacht). Ein gelernter Tischler hat den Anspruch, dass ein fertiges Möbelstück makellos ist.“ Seine Möbel aber macht es aus, dass sie kleine Makel haben. Nicht, weil er unsauber arbeitet, sondern weil er sie gut findet. Das ist ein schmaler Grad und nicht für jeden verständlich.
Wir fragen ihn nach Nachhaltigkeitsaspekten, Überzeugungen und Botschaften. „Das wollt Ihr jetzt gern von mir hören“, sagt er nachdenklich. Philipp lebt bewusst, seit siebzehn Jahren ist er Veganer. Er mag Materialien, die gelebt haben und Geschichten erzählen. Die Art Möbel zu bauen fügt sich einfach in sein Leben. Wir haben verstanden: Wenn Upcycling die logische Ergänzung eines Lifestyles ist, bedarf es keiner weiteren Erklärung.