VITRA CAMPUS

16. August 2013 by in ON THE ROAD
Jean Prouvé Vitra Campus in Weil am Rhein Petrol Station Zaha Hadid, Fehlbaum

Der Vitra Campus in Weil am Rhein ist ein Schlaraffenland. ob für Möbel-Suchende, Design-Liebhaber oder Architektur-Freunde. Wirklich alle Gebäude, die hier stehen, sind das Werk großer Architekten. Ich habe einen Blick hinter die Kulissen des Schweizer Möbel-Giganten Vitra geworfen, um mir einen Überblick zu verschaffen und vor allem, um Jean Prouvés ‚Petrol Station‘ einmal ganz nah zu sein…

Das 2010 von den Schweizer Stararchitekten Herzog & de Meuron fertiggestellte VitraHaus, in dem die Vitra Living Collection präsentiert wird, hab ich schon einig Male besucht. Immer wieder spannend, auch wenn man Vintage Möbel bevorzugt! Schließlich hat Vitra die Rechte an vielen Designklassikern u.a. von Charles & Ray Eames, George Nelson, Verner Panton und auch Jean Prouvé. Das Vitra Design Museum, erbaut von Frank Gehry 1986, mit seinen immer wechselnden Ausstellungen zeigt regelmäßig Möbelklassiker und Meilensteine der Designgeschichte. Momentan ist es wegen Bauarbeiten geschlossen. Die aktuelle Ausstellung ‚Learning from Vernacular‚ ist daher im Dome zu sehen.

Diesmal aber bitte die Architekturführung für mich! 36 Grad, der Ticket-Sticker klebt am T-Shirt und ich kaufe mir noch eben eine Flasche Wasser beim Take-Away im originalen Airstream-Wohnwagen von 1968. Prepared. Eine charmante Schweizer Lady mit großer Sonnenbrille begrüßt uns. Es kann losgehen: das Tor zum Vitra-Werksgelände öffnet sich: Gleich zu Anfang das absolute Highlight für Vintage-Liebende wie mich: die ‚Petrol Station‘, entworfen von Jean Prouvé 1953 gemeinsam mit seinem Bruder Henry für die französische Firma Mobiloil/ Socony-Vacuum. Bisher hatte ich das kleine Gebäude immer nur durch den Zaun, der das Werksgelände umgibt, bewundert. Doch nun stehe ich endlich so nah dran, dass ich meine Nase an der Scheibe platt drücken könnte. Wer Jean Prouvés Möbel kennt, der erkennt am Gebäude sein einzigartiges Gespür für Form und Statik wieder. Die klare Abgrenzung von Wandaufbau und Tragwerk, bei Materialien und Farben, trägt klar seine Handschrift. Im Innern des Fertigbaus aus Aluminiumelementen und Blech stehen sein von Vitra hergestellter Compas Direction Tisch (der Entwurf ebenfalls von 1953) und der ‚Standard‘ Stuhl. Prouvé, der gelernter Kunstschmied war und sich selbst als ‚Konstrukteur‘ bezeichnete, gilt heute als einer der wichtigsten Pioniere der Serienfertigung von Möbeln und der Industrialisierung des Bauens. Er entwarf nicht nur, er produzierte auch. Diese kleine Tankstelle (es gibt weltweit insgesamt drei davon) repräsentiert das Gesamtwerk Prouvés auf beeindruckende Weise. Während ich noch eine letzte Runde um den Kasten drehe, zieht der Rest meiner Gruppe schon weiter in Richtung Produktionshalle. Schnell noch ein letztes Foto knipsen und hinterher….

Das Backsteingebäude des portugiesischen Architekten Álvaro Siza ist in der Bauweise an Fabrikhallen des 19. Jahrhundert angelehnt. Niederländische Arbeiter setzten hier auf traditionelle Weise Stein für Stein für die Ummantelung aufeinander. Über diese Information freut sich die niederländische Familie in unserer Gruppe merklich. Die Kinder hüpfen, seine Brust schwillt an, ihr Kopf wird rot. Niedlich. Die Brückendachkonstruktion, die das Gebäude mit dem nebenstehenden Grimshaw-Bau verbindet, fällt sofort ins Auge. Bei Regen senkt sich die Konstruktion ab, ansonsten ragt sie so weit in die Luft, dass man freien Blick auf die Fire Station von Zaha Hadid hat.

Die Fire Station wurde gebaut nachdem es 1981 einen Großbrand bei Vitra gab. Es war Zaha Hadids erstes Großprojekt, das realisiert wurde. Viel Beton, viel Schräges und ziemlich cool. Heute löscht übrigens im Fall der Fälle wieder die Feuerwehr aus Weil. Das Gebäude wird als Veranstaltungsort genutzt. Die irakische Architektin schaute zuletzt während der Design Miami/ Basel mal wieder auf dem Vitra Campus vorbei.

Letzte Station auf dem Werksgelände ist die SANAA Produktionshalle des gleichnamigen japanischen Architekturbüros (fertiggestellt 2012). Es ist das neueste Gebäude. Die weiße Plexiglasummantelung und der Sommerhimmel strahlen um die Wette. Ein paar Arbeiter sitzen im Schatten des Gebäudes und machen Mittagspause. Ein unwirkliches Bild. Wir dürfen reinschauen. Reflexartig legt man seinen Kopf in den Nacken: Regalreihen, die bis an die Decke reichen, alles weiß, viel Tagesicht. Der Mann neben mir murmelt: „Sieht ja aus wie in der Ikea-SB-Halle.“ Ich schaue ihn erschrocken an. Naja, ein bisschen stimmt das schon. Zum Glück ging die Anmerkung in den Begeisterungsstürmen der anderen unter. Als Vergleich wird uns ein kurzer Blick in die gegenüberliegende massiv wirkende Produktionshalle von Nicholas Grimshaw aus den 80er Jahren erlaubt. Etwas rougher geht’s hier zu: Schwere Maschinen, Dunkelheit und Männerschweiß. Mir gefällt’s, aber ich sag’s nicht, denn ich glaube, es sollte abschrecken.

Auf zur letzten Station! Wir verlassen das Werksgelände, bleiben im Schatten eines Kirschbaums stehen und blicken auf die Mauern des Konferenzpavillons von Tadao Ando (1993). Es war Absicht des Japaners, das Gebäude in gesunder Distanz vom Werksgelände zu errichten. Die Fensterfront wendet sich vom Gelände ab. Man kann in die Berge sehen. Die Mauer fürhrt um eine Ecke. Auf Anhieb macht das keinen Sinn, denn hinter der Ecke ist eine Grünfläche. Es ist eine Hürde, die böse Geister abhält. Die können nämlich nicht um Ecken laufen, lerne ich. Wir betreten das Gebäude durch den winzigen Eingang. Angenehm kühl ist es hier, und alles so schön verschachtelt! In einem der Konferenzräume nehmen wir Platz. Letzte Fragen dürfen gestellt werden. „Gibt es weitere Bauvorhaben?“ möchte eine Dame wissen. Unsere Führungs-Lady antwortet mit den Worten des Vitra-Chefs Rolf Fehlbaum: „Fragen Sie nächstes Jahr nochmal.“ Das tun wir. Garantiert.

 

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